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Русская германистика. Ежегодник Российского союза германистов. Т. 15. Революция и эволюция в немецкоязычных литературах - стр. 24

Egmont ist gestaltet als eine jener außerordentlichen Persönlichkeiten wie Peter der Große, Napoleon, Carl August oder manche Künstler (Raffael, Mozart, Paganini), welche Goethe als dämonische Naturen oder dämonische Wesen ansah. Solche Persönlichkeiten verfügen in Goethes Denken über jene unbegrenzte und positive Schaffenskraft, durch die sie in der Lage sind, große Wirkungen hervorzurufen. Woher saber kommt diese Kraft, die Unruhe mit sich bringt und die menschliche Produktivität ins Unendliche drängt, sodass z. B. Carl August – laut Goethe – „sein eigenes Reich […] zu klein war und das größte ihm zu klein gewesen wäre“? (Gespräch mit Eckermann, 2. März 1831 [Ekkermann 1987: 438–439]) Diese Kraft ist ein Zeichen der Besessenheit,8 sie kann nicht vom Innern des Menschen ausgehen oder vom inneren Gesetz der Entwicklung vorbestimmt sein. Sie kommt von außen und ist die Kraft des Dämonischen. Ich denke, hier wirkt das Dämonische mit dem Dämon zusammen: jenes aktualisiert und beschleunigt die Realisierung des zweiten. Goethe formulierte gegenüber Eckermann: „Des Menschen Verdüsterungen und Erleuchterungen machen sein Schicksal! Es täte uns not, daß der Dämon uns täglich am Gängelband führte und uns sagte und triebe, was immer zu tun sei. Aber der gute Geist verläßt uns, und wir sind schlaff und tappen im Dunkeln“ (Gespräch mit Eckermann vom 11. März 1828 [Eckermann 1987: 624]). Der Dämon bedeutet hier nicht Daimon, sondern das personifizierte Dämonische.

Am engsten verflochten sind Dämon und Dämonisches in der Musik. Im Gespräch mit Eckermann vom 8. März 1831 sagt Goethe, das Dämonische sei „in der Musik im höchsten Grade, denn sie steht so hoch, daß kein Verstand ihr beikommen kann, und es geht von ihr eine Wirkung aus, die alles beherrscht und von der niemand imstande ist, sich Rechenschaft zu geben“ [Eckermann 1987: 441]. Die Musik ist nach Goethe also dämonisch und kann deswegen uneingeschränkt wirken. Auch seien die Musiker unter den Künstlern am stärksten von der dämonischen Kraft bewegt. Darauf verweist Goethe im Gespräch mit Eckermann vom 2. März 1831: „Unter den Künstlern findet es [das Dämonische. – I. K.] sich mehr bei Musikern, weniger bei Malern. Bei Paganini zeigt es sich im hohen Grade, wodurch er denn auch so große Wirkungen hervorbringt“ [Eckermann 1987: 439]. Die Musik ist nach Goethe also dämonisch, sie wirkt durch einen Musiker, aber nicht aus ihm. Um ein Medium der Musik zu sein, müsse man aber auch musikalisches Talent haben. In einem früheren Gespräch (vom 14. Februar 1831) spricht Goethe vom musikalischen Talent: es zeige sich am frühesten, da „die Musik etwas Angeborenes, Inneres ist, das von Außen keiner großen Nahrung und keiner aus dem Leben gezogenen Erfahrung bedarf. Aber freilich, eine Erscheinung wie Mozart bleibt immer ein Wunder, das nicht weiter zu erklären ist.“ [Eckermann 1987: 421]. Im musikalischen Talent scheinen Dämon – da es sich um eine angeborene und innere Fähigkeit handelt – und Dämonisches vereinigt zu sein. Die Frage aber bleibt: was bedeutet es, eine dämonische Persönlichkeit zu sein? Ich meine, jeder ist mehr oder weniger dem Dämonischen unterworfen, doch nicht jeder ist eine dämonische Persönlichkeit in Goethes Verständnis. Auch zählte Goethe sich selbst nicht zu den entsprechenden Personen: „In meiner Natur liegt es nicht“ – sagt Goethe – „aber ich bin ihm unterworfen“ [Eckermann 1987: 438]. Wie kann man aber etwas Dämonisches in seiner Natur haben, wenn das Dämonische selbst eine von außen wirkende und dem Individuum fremde Kraft ist? Hier stoßen wir vielleicht an das Fundament von Goethes Vorstellungen über den Dämon und das Dämonische, welches von mythologischem Denken geprägt ist und dadurch eine diskursive Auffassung jener Vorstellungen verhindert. Man kann vermuten, dass die Möglichkeit der produktiven Perzeption der dämonischen Persönlichkeit durch das Dämonische für Goethe im Wesen des Dämons liegt. Das Dämonische zeigt sich im Individuum als „Erleuchtung“ und Steigerung der Entelechie [vgl. Kemper 2004: 444]. Gerade dieser Begriff der Entelechie (zu Goethes Verständnis dieses Begriffs vgl. [Hilgers 2002: 82–139]), der sowohl für das Dä-monische wie auch für den Dämon von Bedeutung ist, könnte das Zusammenwirken beider näher erklären.

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