Русская германистика. Ежегодник Российского союза германистов. Т. 15. Революция и эволюция в немецкоязычных литературах - стр. 23
Im ersten Teil werde ich kurz auf das Problem der dämonischen Natur (d.h. der Persönlichkeit) eingehen. Im zweiten Teil wird die Gemeinsamkeit beider Konzepte in ihrem Anteil an der Entelechie näher erläutert. Abschließend wende ich mich nach einigen Bemerkungen zum Problem der Willensfreiheit in Goethes Weltbild der Frage zu, welchen Schluss die Vorstellungen von Dämon und Dämonischem zulassen und damit der Frage, inwiefern die Französische Revolution für Goethe dämonisch und unabwendbar war.
Man ist sich allgemein darüber einig, dass der Hauptunterschied zwischen dem Dämonischen und dem Dämon darin liegt, dass hinter dem ersten Konzept eine über- oder unpersönliche Macht steht, die von außen kommt und dem Individuum grundsätzlich fremd ist [Danckert 1951: 464; Kemper 2004: 448; Jäger 2013: 111]. Der Dämon dagegen ist allen Individuen als das individuelle Gesetz der Entwicklung eigen. Eine präzisere Beschreibung beider Konzepte sollte meines Erachtens von ihren Gemeinsamkeiten ausgehen. Einer der Punkte, in dem sich Dämon und Dämonisches überschneiden, ist Goethes Konzeption der dämonischen Persönlichkeit.
Das Dämonische manifestiert sich für Goethe in der Natur, in historischen Begebenheiten, aber auch in der Kunst und im einzelnen Menschen, genauer gesagt in bedeutenden und außerordentlichen Persönlichkeiten, deren Taten „durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen sind“ (siehe z. B. die Gespräche mit Eckermann vom 11. März 1828 und vom 30. März 1831 [Eckermann 1987: 461, 623–627]). Am besten lassen sich Goethes Gedanken über das Dämonische anhand von „Dichtung und Wahrheit“, seinen Gesprächen mit Eckermann und „Egmont“ nachvollziehen. Vom Dämon spricht Goethe in erster Linie im Gedicht „Urworte. Orphisch“. Das Gedicht wurde im Herbst 1820 in der Zeitschrift „Zur Metamorphose“ veröffentlicht und soll im Folgenden im Kontext von Goethes Morphologie betrachtet werden.
Forscher, die vor allem die Unterschiede zwischen den Konzepten von Dämon und Dämonischem stark machen, verwechseln die Konzepte manchmal miteinander. So betrachtet z. B. Jana Jäger [2013: 39, 42] die Figuren von Egmont und Werther als Beispiele für die Wirkung des Dämons. Ihr Hauptargument dafür ist das Unvermögen beider Figuren, ihrem Schicksal zu entrinnen und „anders zu handeln“. Egmont ist aber eine außerordentliche Persönlichkeit, die ihrem Schicksal weder entrinnen kann noch will. Jeder hat seinen eigenen Dämon, doch das Erhabene und das Tragische gerade dieser Figur liegt im absoluten Unvermögen, eine andere Handlungsweise zu denken, sowie in einer „Produktivität“ [Eckermann 1987: 630], einem Schaffensdrang, der sich, unabhängig von allen Hindernissen, allen Eingriffen des Schicksals realisiert.