Русская германистика. Ежегодник Российского союза германистов. Т. 15. Революция и эволюция в немецкоязычных литературах - стр. 2
Наконец, отдельный блок статей посвящен осмыслению революции и революционного начала у австрийского писателя Адальберта Штифтера. Чтение этих докладов состоялось в рамках заседания русского Штифтеровского общества, проходившего во время 15-го съезда РСГ.
В сборнике представлены 2 рецензии на работы последних лет в области литературоведения.
Президиум РСГ благодарит за поддержку Немецкую службу академических обменов (DAAD, Бонн) и Австрийский культурный форум при Посольстве Австрии (Москва).
REVOLUTION ODER EVOLUTION? GESCHICHTE ELNER OPPOSITIONELLEN DENKFIGUR
DIRK KEMPER
(Russische staatliche universität für Geisteswissenschaften, Moskau)
Die Begriffe ‚Evolution‘ und ‚Revolution‘ scheinen unauflösbar verbunden, gleichsam oppositionelle Brüder zu sein. Zudem mutet der gemeinte Gegensatz von ‚langsamer, natürlicher‘ und ‚gewaltsamer, abrupter Veränderung‘ so universell an, dass er überall anwendbar erscheint und zum typographischen Spiel „(R)Evolution“ geradezu einlädt. Davon zeugt die im Internet umworbene Warenwelt vielfach: Cocktailgläser, Turnschuhe, ein australisches Mountainbike-Magazin, ein Waschmaschinentyp und eine ewige Jugend verheißende Gesichtscreme – all das wird mit dem Schlagwort „(R)Evolution“ umworben.1
Den Russischen Germanistentag 2017 ebenfalls unter das Thema „(R)Evolution“ zu stellen zeugt jedoch nicht davon, dass die russische Germanistik im Revolutionsjahr typographischen Spielen verfallen wäre, sondern lenkt unsere Aufmerksamkeit darauf, dass beide Begriffe auch zentrale Ordnungskategorien der Literaturgeschichtsschreibung und der Literaturtheorie sind.
Dazu einige einleitende Überlegungen.
So verführerisch das Wortspiel die beiden Begriffe in Verbindung setzt, so unterschiedlich nehmen sie sich doch aus, wenn man ihre Begriffsgeschichte betrachtet.
Auch wenn uns der Begriff ‚Revolution‘ [vgl. DFWB>1 1977, III/412– 4182] heute gängig über die Lippen kommt – zumal im Jahr der Erin-nerung an 1917 —, lässt er sich doch kaum aus philosophisch-ideengeschichtlichen Traditionen herleiten. Natürlich ist das Wort ‚revolutio‘ alt, doch trug es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ganz andere Bedeutungen. Karl Ernst Georges Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch kennt ‚revolutio‘ überhaupt nicht im Bereich des klassischen Latein. Eine Umwälzung im Staat wurde anders bezeichnet, etwa als ‚rerum publicarum conversio‘ oder als ‚Aufstand, Rebellion‘ mit dem Wort ‚seditio‘ [Georges 1910: 1962–63]. Vom 15. bis zum 18. Jahrhundert existierte in der deutschen Sprache das Fremdwort ‚Revolution‘, das aber in unterschiedlichen Wissenschaften und Bereichen die Veränderung einer geometrischen Ordnung meinte. Truppenteile konnten eine ‚Revolution‘ vollziehen, Tanzformationen ebenso. Vor allem aber meinte ‚Revolution‘ die ‚Umdrehung‘, den ‚Umlauf‘ in der Astronomie, also die Bahn eines Himmelskörpers um ein Hauptgestirn. Theologisch meinten ‚revolvere‘ und ‚Revolution‘ das Wegrollen des Steins vom Grab Christi.